Benjamin Myers:
Offene See
Robert ist 16, als er 1946 am Anfang eines Sommers in England auf Wanderschaft geht. Eigentlich will er nur weg von seinem vorgezeichneten Weg: Bergarbeiter werden wie sein Vater und dessen Vater vor ihm. Was er will, weiß er nicht – nur dass er raus muss, raus in die Natur, atmen und frei sein. Und so geht er durch England von Nord nach Süd, arbeitet immer mal wieder für Essen und Unterkunft, schläft in Scheunen und auf Wiesen. Bis er zu einem Cottage kommt, in dem eine ältere Frau alleine mit einem Schäferhund lebt und sie ihn einlädt zu bleiben. Er kümmert sich um Hecken und Wiesen, sie kocht und erzählt. Eigentlich erzählt sie nicht, sie eröffnet neue Welten. Spricht über Literatur, über Schriftsteller und Dichterinnen, über Nationen, Gleichheit der Menschen, über Kräuter und Lust am Leben und der Liebe.
Und er bleibt. Und bleibt. Und sucht sich immer neuen Aufgaben, bis der Sommer vergeht. Am Ende dieser Sonnentage ist er nicht mehr der Gleiche, denn er hat verstanden, was Freiheit bedeutet, was Liebe ist und welche Macht Sprache und Bildung haben.
Ich habe die 268 Seiten von „Offene See“ langsam und genüsslich gelesen, so wie man nach einem Winterspaziergang sein Zuhause wieder betritt, die Glieder wieder warm werden und der erste Schluck Tee oder Suppe Leben bedeuten. So viel sprachliche Schönheit, so wunderbare Bilder, so viel Lebensweisheit, Gelassenheit und Liebe. Dulcie hat so viel Mut, Robert zu Beginn so viel Naivität und später so viel Klugheit!
Ich bin begeistert, traurig, dass es ausgelesen ist und stelle es jetzt etwas wehmütig ins Regal zu meinen Lieblingsbüchern. Möge es euch auch mit diesem Schatz so gehen.
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