Heidi Benneckenstein:
Ein deutsches Mädchen
Anlass: Ich habe das Buch auf Anfrage von Netgalley bekommen und freue mich darüber. Ich wollte es nach der Bundestagswahl lesen, um zu verstehen, woher die Stimmung für Populismus und Nationalismus im Land kam und wieso unser Land im Moment so tickt. Und: ich kann nach diesen Zahlen nicht mehr glauben, dass es Minderheiten sind, die auf die Forderungen der AFD und Co anspringen. Also möchte ich für mich sehr unangenehme, weil Menschenbild verwirrende, Recherche betreiben.
Inhalt: Heidie Benneckenstein berichtet schonungslos von einer Kindheit und Jugend in Deutschland-1993 geboren- in der sie komplett nationalsozialistisch erzogen wurde. Und damit meint sie nicht Ausländer raus Demos von Kindesbeinen an, sondern ein Vater der seine Töchter aufforderte, immer schneller, besser, härter, fügsamer, duldsamer zu sein als andere. Perfekte Frauen um dem nationalistischen Mann zu dienen, seine Kinder zu bekommen und ebenso aufzuziehen. Von Gewalt, Drill, Kälte, Verzicht, von einer kompletten Parallelwelt mit Ferienlagern mit Außensport bei Schnee, von prügelnden Fahrtenleitern, wenn ein Kind nicht mehr konnte. Von Stolz auf die eigene Härte, die eigene Rasse, von einem perfekten Volk mit arischem Blut. Von verzerrter Geschichtswahrnehmung, dem Leugnen des Holocausts, Abschottung nach außen, schlechten Noten, Widerstand gegen Lehrer als Repräsentanten eines falschen Verlierstaats. Von Gefängnis, Prügeleien, Verherrlichung von Rudolf Heß und neueren Neonazi-Größen. Und dann von Liebe und Ausstieg und der Gründung eines Aussteigernetzwerks.
Meinung: Verzeiht mir bitte das Stakkato von oben – ich wollte so gern oft nicht glauben, dass Neonazis nicht nur die Typen mit den weißen Schnürsenkeln sind, die herumbrüllen und zwar aggressiv, aber nicht gefährlich sind, weil jeder merkt, dass die eben nicht mehr können als das. Aber dieses Buch offenbart eine Parallelwelt, die ich nicht wegdiskutieren kann. Mit eigenen Büchern, Musik, Schulungen, Rhetorikkursen, Argumentationen voll intelligenter Menschen, die immer noch von Herrenrasse, reinem Blut und co träumen. Furchtbar, gefährlich und real. Ich wünsche diesem Buch viele verschreckte und darüber sprechende Leser – denn eine ignorierte Gefahr ist gefährlicher als die, die wir offen fürchten und vor der wir uns schützen wollen, weil wir von ihrer Existenz wissen.
Für wen: Alle, die an unserer demokratischen Grundordnung hängen.
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